Kategorien

Positionspapier zum Stand der Forschung zur arbeitsplatzbezogenen Gesundheit von Migranten

Beiträge der AG Rehabilitation und Arbeit zu aktuellen Veröffentlichungen

In einem im International Archives of Occupational and Environmental Health erschienen Positionspapier mit dem Titel „Migrant workers occupational health research: an OMEGA‑NET working group position paper“ (https://doi.org/10.1007/s00420-021-01803-x ) beschreibt die OMEGA-NET-Arbeitsgruppe, ein Zusammenschluss von Forschenden aus Europa und Australien, den aktuellen Forschungsstand sowie Forschungslücken zur arbeitsplatzbezogenen Gesundheit von Migranten. Das Positionspapier basiert im Wesentlichen auf zwei systematischen Übersichtsarbeiten zur Gesundheit von Migranten von Hargreaves et al. 2019 (https://doi.org/10.1016/S2214-109X(19)30204-9) und Sterud et al. 2018 (https://doi.org/10.1186/s12889-018-5703-3 ), berücksichtigt darüber hinaus jedoch auch jüngere Studienergebnisse, z. B. zur Situation migrantischer Arbeiter während der SARS-CoV-2-Pandemie.

Das Positionspapier stellt eine große Heterogenität im Hinblick auf die in Studien verwendete Definition von „Migrant“ fest. Der Begriff wird beispielsweise sowohl für Personen gebraucht, die innerhalb eines Landes migrieren (z. B. aufgrund von Bürgerkriegen oder Lebensbedingungen), als auch für Personen, die ihren Lebensmittelpunkt über Landesgrenzen hinweg verlagerten. Darüber hinaus erfassen viele Studien spezifische Merkmale der untersuchten Migrantengruppe nur unzureichend. Das Positionspapier empfiehlt daher, dass zukünftige Studien neben dem Migrationsstatus auch migrationsassoziierte Faktoren wie Sprachfähigkeit oder die Rahmenbedingungen der Migration, wie beispielsweise den Aufenthaltsstatus, erfassen und transparent beschreiben sollten. Eine aktuelle Arbeit zu bei uns üblichen Definitionen und eine rehabilitationswissenschaftliche Anwendung dieser Definitionen finden Sie auch hier: https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2022.101351.

Die Autoren beschreiben, dass Migranten häufiger unter prekären Bedingungen in Berufen arbeiten, die durch eine geringere Bezahlung, längere Arbeitszeiten, eine stärkere Exposition gegenüber Belastungen wie Lärm oder Chemikalien und ein niedriges Qualifikationsniveau gekennzeichnet sind. Aufgrund eines oftmals eingeschränkten Zugangs zu Rechtsberatung, gewerkschaftlicher Vertretung und weniger sozialer Unterstützung haben sie zudem ein höheres Risiko von sozialer Isolation und Ausbeutung. Die prekären Arbeitsbedingungen begünstigen Arbeitsunfälle und arbeitsassoziierte physische und psychische Erkrankungen. Nach jüngeren Studien leiden migrantische Arbeitnehmer beispielsweise häufiger unter psychosozialen Problemen und psychischen Störungen wie Depressionen, Angstzuständen, Schlaflosigkeit oder chronischer Erschöpfung. Aufgrund der primären Tätigkeitsfelder im niedrigqualifizierten Dienstleistungsgewerbe (z. B. Essensauslieferungen) war vermutlich auch das Risiko für eine Ansteckung mit SARS-CoV-2 erhöht. Die Literatur zeigt zudem, dass weiterhin Ungleichheiten im Zugang zur Gesundheitsversorgung zwischen Migranten und Nicht-Migranten bestehen. Diese Unterschiede können sich je nach Migrationsstatus unterscheiden. Migranten erfahren mitunter selbst bei formaljuristisch gleichberechtigtem Zugang aufgrund unterschiedlicher Barrieren (z. B. Informationsdefizit) eine Benachteiligung in der Gesundheitsversorgung.

Den Autoren zufolge ist bisher nicht klar, welches die wichtigsten Faktoren sind, die die körperliche und psychische Gesundheit von migrantischen Arbeitnehmern beeinflussen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, neben soziodemografischen Merkmalen, gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen und migrationsassoziierte Faktoren auch betriebs- und systembezogene Faktoren (z. B. Sicherheitsmaßnahmen am Arbeitsplatz) in Studien zu berücksichtigen, um zukünftig Ableitungen für eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation treffen zu können.

Bisherige Erkenntnisse zur arbeitsplatzbezogenen Gesundheit von Migranten stützen sich – mit den bekannten Limitationen – überwiegend auf Querschnittsstudien. Zur Beschreibung möglicher Langzeitfolgen fehlen Längsschnitterhebungen. Allerdings ist die Datenerhebung bei Migranten mit unterschiedlichen Herausforderungen wie Sprachebarrieren, fehlenden Meldedaten oder Umzügen behaftet. Dies kann wiederholte Nachbefragung erschweren. Mehrsprachige Fragebögen sind eine Möglichkeit, die Umfragebeteiligung zu verbessern, da so nicht nur mögliche Sprachbarrieren überwunden werden, sondern den Teilnehmenden zudem ein Gefühl von Zugehörigkeit vermittelt wird.

[Hannes Banaschak]

Skip to content